Theoretische Linguistik
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Die sprachlichen Wurzeln Europas

LMU-Symposium im Jahr der Geisteswissenschaften am 03. Dezember 2007

Symposium

Die "sprachlichen Wurzeln Europas" erlauben einen Blick in unsere Vorgeschichte. Wie sah Europa vor der indogermanischen Expansion aus, und was kann die Sprachwissenschaft zu dieser Frage beitragen? Indizien wie Gewässer- und Siedlungsnamen, außergewöhnliche Strukturen des Germanischen, germanische Mythen, archäologische Befunde und die Besonderheiten des germanischen Runenalphabets tragen ihren Teil zur Klärung der Vorgeschichte Europas bei.

Programm

09.00-9.05 Patrizia Noel
Begrüßung
09.05-10.05 Georg Bossong (Zürich)
"Überlegungen zur prähistorischen Sprachsituation in Europa, mit Beispielen aus der Toponomastik der Iberischen Halbinsel"
10.05-11.05 Iva Welscher (München)
"Zur Theorie der alteuropäischen Toponymie" (Abstract)
  Pause bis 11.30
11.30-12.30 Benjamin Meisnitzer (München)
"Semitischer Einfluss auf das Deutsche mit besonderer Berücksichtigung des Arabischen" (Abstract)
  Mittagspause bis 14.00
14.00-15.00 Alexandra Grieser (München)
"Wurzeln der Sprache als Ursprung von Religion? - F.M. Müllers Mythenforschung und die philologische Konstruktion europäischer Religion" (Abstract)
15.00-16.00 Marc Vander Linden (Cambridge)
"People, language or culture? On the interplay between archaeology, historical linguistics and comparative philology" (Abstract)
  Pause bis 16.30 Uhr
16.30-17.30 Reinhard Lehmann (Mainz)
"'Gesegnet sei, wer die Schrift erfand' oder Von Abjad-Schützen und seefahrenden Linkshändern. Aus der Frühgeschichte des Alphabets." (Abstract)
17.30-18.30 Theo Vennemann (München)
"Griechisch, lateinisch, etruskisch, karthagisch? Zur Herkunft der Runen" (Abstract)
18.30-18.35 Dietmar Zaefferer
Verabschiedung


Veranstaltungsort: Senatsaal der Ludwig-Maximilians-Universität München, Hauptgebäude, Geschwister-Scholl-Platz 1, Raum E 110.

Veranstalter: Institut für Deutsche Philologie, Institut für Theoretische Linguistik, LIPP (Linguistik – Internationales Promotions-Programm), Ludwig-Maximilians-Universität München.

Kontakt: Patrizia Noel,  E-Mail schicken an patrizia.noel@germanistik.uni-muenchen.d E-Mail

Mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

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Abstracts

 

Iva Welscher (München)

Zur Theorie der alteuropäischen Toponymie

Ist Südosteuropa ein Ausbreitungsgebiet der alteuropäischen Toponymie?
Verschiedene Theorien zu den ältesten geographischen Namen Europas betrachten dieses Gebiet als das älteste oder aber das jüngste Gebiet der alteuropäischen Toponymie. Der Vortrag beleuchtet die Thesen, die zu dieser unterschiedlichen Einordnung und Interpretation geführt haben und stellt die Lösung dar, die im Rahmen der Theorie der alteuropäischen Toponymie von Theo Vennemann entstanden ist.

Zur Erläuterung der genannten Theorien werden auch toponymisch-etymologische Beispiele herangezogen.
 

Benjamin Meisnitzer (München)

Der semitische Einfluss auf das Deutsche unter besonderer Berücksichtigung des Arabischen"

Wenn man einen Blick in die gängigen Werke zur deutschen Sprachgeschichte wirft, findet man zwar viele Abschnitte zum Einfluss diverser Sprachen (z.B. des Französischen oder des Englischen) auf das Deutsche und die Etymologie zahlreicher Wörter, die aus jenen Sprachen durch Entlehnung in die deutsche Sprache gelangt sind. Jedoch findet man kaum Anmerkungen, geschweige denn ausführlichere Darstellungen, zum Einfluss der semitischen Sprachen auf das Deutsche.

Kulturgeschichtlich ist es jedoch nicht schwer nachzuvollziehen, dass selbst ohne direkten Sprachkontakt Sprachen wie das Arabische, schon aufgrund der immensen kulturellen Innovationen, die die Araber während ihrer Präsenz auf der iberischen Halbinsel und in Italien zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert nach Europa brachten, zahlreiches Lehnwortgut an die deutsche Sprache lieferten. Im Fall des Hebräischen liegt es auf der Hand, das es sehr wahrscheinlich sprachliche Auswirkungen auf das Deutsche gehabt hat, weil im Mittelalter und in der Neuzeit in Deutschland zahlreiche Juden lebten, wodurch es zum direkten Sprachkontakt mit dem Hebräischen kam. Außerdem kommt der Einfluss der Bibel hinzu, deren kulturelle Bedeutung für unsere westliche Welt unbestritten ist und mit der auch zahlreiche neue Begriffe und Konzepte ins Alltagsleben eindrangen, für die Begriffe geschaffen bzw. entlehnt werden mussten. Schließlich waren wesentliche Fragmente des Alten Testaments auf Hebräisch verfasst.

Am Beispiel einiger ausgewählter Etymologien soll der oftmals komplexe Weg der Entlehnungen aus den semitischen Sprachen ins Deutsche über Brückensprachen dargestellt werden. Ziel des Vortrags ist es somit, die häufig unterschätzte Bedeutung des semitischen Lehngutes im deutschen Wortschatz darzustellen und zu zeigen, dass in der Etymologie einfache Erklärungen zum Ursprung eines Wortes niemals ausreichend sind, da ein aus einer Sprache entlehntes Wort häufig selbst schon das Ergebnis einer Entlehnung war. So sind einige Wörter zwar über romanische Sprachen ins Deutsche gelangt, stammen jedoch ursprünglich aus dem Arabischen. Der Vortrag soll daher einen Grundstein für weitere Forschungen auf dem Gebiet der semitischen Entlehnungen ins Deutsche bilden und die Notwendigkeit weiterer vertiefter Studien zur Etymologie verdeutlichen, die keinesfalls, wie häufig behauptet wird, ein Bereich ist, auf dem schon alles erforscht ist.
 

Alexandra Grieser (München)

Wurzeln der Sprache als Ursprung von Religion? - F.M. Müllers Mythenforschung und die philologische Konstruktion europäischer Religion"

Sprachwissenschaft und Religionswissenschaft haben enge Berührungspunkte in ihrer frühen Entwicklung. Die Suche nach den Ursprüngen von Religion und Sprache schien ein und dasselbe zu sein, denn beide waren bezogen auf die Singularität von Bibelsprachen und Christentum. Die Mythenforschung sollte die methodische Verbindung zwischen Sprache und Religion herstellen.

Diese Suche nach dem Ursprung war keineswegs nur interesselose Erforschung vergangener Zeiten. Friedrich Max Müller, Indologe, Sprachwissenschaftler und Namensgeber der Religionswissenschaft, sah in der Typologisierung von Sprachen den Königsweg zur Erforschung von Religion. Er versuchte mit seiner Einführung der arischen und semitischen Sprachfamilien, einerseits die Vielfalt der neu entdeckten Religionen vergleichbar und integrierbar zu machen und andererseits gleichzeitig dem angegriffenen Christentum zu neuem Glanz zu verhelfen.

Sprach- und Religionsforschung verschränkt sich hier mit evolutionistischen Mustern und einem Dekadenzmodell. Die Konstruktion von Ursprüngen ist zugleich die Konstruktion der eigenen Epoche, Antwort auf zeitgenössische Problemstellungen und, im Falle der Religion, Konstruktion von Europas „eigener Religion“.

Abgesehen von typologischen und strukturellen Befunden haben Sprach- und Religionswissenschaft hier Anteil an kulturellen Bildern, die bis heute wirksam sind. Als Hintergrund für aktuelle Debatten und Desiderate mag diese Reflexion zur Diskussion beitragen.
 

Marc Vander Linden (Cambridge)

People, language or culture? On the interplay between archaeology, historical linguistics and comparative philology

The archaeology of the Indo-European problem remains a marginal topic for most archaeologists, despite (because of?) the involvement of leading figures of the discipline (e.g. Colin Renfrew, Kristian Kristiansen). Indeed, many archaeologists feel uncomfortable, or unable, to link mute artefacts with (past) languages. This discomfort is partly related to the fact that the existing positions are quite diverse and unequivocal at the same time.

On one side, Colin Renfrew stresses that the Indo-European problem is and must remain a purely linguistic question, hence denying any value of comparative philology. However, his entire scenario does not rest on linguistic data per se. It rather entirely rests on a demographic assumption about the earliest Neolithic populations, which explains the later incorporation of DNA studies in his work.

On the other side, many scholars heavily resort to comparative "cultural" data. For instance, Gimbutas’ identification of Indo-European people is purely cultural, although the traits she singled out derive of her highly personal perception of the difference between pre-Indo-European and Indo-European populations, rather than on any in-depth comparative analysis of Indo-European material, written or oral. More recently, Kristian Kristiansen and Thomas Larsson have insisted on the potential use of reconstructed Indo-European myths for the interpretation of some archaeological features (e.g. Scandinavian rock art).

These differences not only explain the existence and nature of the contemporary debate, but also the profound divergences between the aforementioned authors regarding key questions such as the Indo-European homeland, or the date, pace and modes of spread of Indo-European languages.

This lecture will review the assumptions which underline some of these recent works, and the possibilities of a dialogue between archaeology, historical linguistics and comparative philology. This examination will provide the basis for alternative methodological propositions, which draw on recent development in comparative philology (e.g. Calvert Watkins). Lastly, a case-study dealing with the archaeology of the 3rd millennium BC will be briefly exposed.

Reinhard G. Lehmann (Mainz)

„Gesegnet sei, wer die Schrift erfand“ oder Von Abjad-Schützen und seefahrenden Linkshändern. Aus der Frühgeschichte des Alphabets

Das ‚Alphabet‘ ist als Typ eines hochabstrakten Schreibsystems, das sprachliche Äußerungen mittels eines begrenzten Repertoires von Zeichen graphisch als Reihung von Einzellauten darstellt, eine relativ junge Erscheinung in der Geschichte des Schreibens und des Phänomens ‚Schrift‘ an sich. Wenngleich die genauen Bedingungen seiner Entstehung noch in vielerlei Hinsicht im Dunklen liegen, muß sein Ursprung im syrisch-palästinischen Raum des 2. Jahrtausends v. Chr. unbestritten als kulturhistorisch revolutionärer Vorgang angesehen werden.

Der Vortrag spürt nach einer Vorstellung der zunächst unterschiedlichen Alphabetreihungen der formativen Periode des nordwestsemitischen Standardalphabets nach, wie es sich im 1. Jahrtausend v. Chr. im syrisch-palästinischen Raum schließlich konkurrenzlos durchsetzte und in einem beispiellosen Siegeszug schließlich zum direkten oder indirekten Urahn sämtlicher heute existierender Alphabete wurde.

Besonderes Gewicht wird dabei auf einige Phänomene gelegt, die bis heute die Praxis alphabetischer Schreibung beherrschen, wie Alphabetreihung, Schreibrichtung, orthographische Regulierung, Kalligraphie, Textorganisation und Spatienschreibung.
 

Theo Vennemann (München)

Griechisch, lateinisch, etruskisch, karthagisch? Zur Herkunft der Runen"

Es steht außer Zweifel, daß die germanische Runenschrift wie das griechische, etruskische und lateinische Alphabet und natürlich auch die Schrift der westlichsten Phönizier, der Karthager, letztlich auf die kanaanäische Konsonantenschrift der Phönizier des östlichen Mittelmeerraums zurückgeht. Doch ist die unmittelbare Quelle der Runen weit weniger klar. Mehrere Theorien stehen in Konkurrenz: die griechische These, der zufolge sich die Runen von einem der frühen griechischen Alphabete herleiten; die lateinische These, der zufolge sich die Runen dem zivilisatorischen Einfluß des Römischen Reiches verdanken; die etruskische These, der zufolge die Runen das etruskische Alphabet oder eins oder mehrere seiner alpinen Derivate zum Vorbild haben; und die karthagische These, der zufolge die Runen direkt auf das phönizische Alphabet, und zwar in seiner karthagischen Ausprägung, zurückgehen. Zur Bewertung dieser verschiedenen Theorien wird ein Katalog von Explananda erstellt, darunter:

  • Gestalt und Lautwert der Runen
  • Namen der Runen
  • Reihenfolge der Runen
  • runische Schreibregeln
  • Zeit und Ort der frühesten Runendenkmäler

Auf dieser Basis wird gezeigt, daß zwar keine der vorgeschlagenen Theorien allen Besonderheiten des runischen Schreibsystems Rechnung trägt, daß aber unter ihnen hinsichtlich ihrer erklärenden Kraft erhebliche Unterschiede bestehen.

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